Löwenzahn

Auftakt für eine neue Kammer in meiner Anthologie, genannt Botanisiertrommel. Alles Pflanzliche in Text oder Bild, botanisch, etymologisch, kulturgeschichtlich oder halt poetisch.

Ich beginne mit dem Löwenzahn. Das ist eigentlich ein Sammelname für zahlreiche Arten in zwei verwandten Gattungen, Taraxacum (dazu zählt der Gewöhnliche Löwenzahn) und Leontodon (u.a. Herbstlöwenzahn). Was wir Pusteblume oder Butterblume nennen, ist in der Regel der Gewöhnliche Löwenzahn, auch das ist eine Gruppe mit verschiedenen Arten.

Vor Tschernobyl machten wir daraus Löwenzahn“honig“, eigentlich ein Sirup. Auch als Salat, der oft schon im Januar/ Februar gepflückt werden kann, ist er beliebt. Man kann auch die Wurzel mitverwenden, und aus den noch geschlossenen Blütenknospen läßt sich ein leicht bitteres schmackhaftes Gemüse zubereiten. Nicht zu vergessen ein Ersatzkaffee in schlechten Zeiten neben der Zichorie (Wegwarte). Der Löwenzahn hat viele volkstümliche, oft regional verbreitete Namen, wie Kuhblume, Saublume, Hundeblume, Lausblümlein, aber auch wegen der volksmedizinischen Verwendung Bettseecher, Bettschisser, Pißnelke, Französisch heißt sie Pissenlit (Piß-ins-Bett), Englisch Dandelion (von dens leonis, Löwenzahn). Versteht sich, daß Dandelion und Löwenzahn öfter in Gedichten vorkommt als Pissenlit. Dandelion gibt es z.B. bei Wordsworth, Longfellow, Emily Dickinson, John Ashbery, Edward Hirsch oder Ruth Stone, Löwenzahn bei Friedrich Georg Jünger, Louis Fürnberg, Paul Celan, Friederike Mayröcker oder Manuel Stallbaumer und jeweils vielen anderen. Ich entscheide mich für ein Gedicht von Johannes Kühn:

LÖWENZAHNWIESE

Sie wirft sich vor dir hin in Blumenseide,
da blüh mit, ärgerlicher Mensch!
Im Frühjahr dich aufmunternd
ist sie voll gutem Geist
in bergiger Landschaft.
Sie hat als Gäste Raben,
die verwundert unter den gelben Leuchten wandern.
Die Nachtigall
hat sie mit ihrem Liedschwung
am Tag entzündet. Den Rehen
gibt sie Hauch und Äsung,
die Hasen taumeln in ihrem Duft,
und einen König, der seine Krone verloren hat,
tröstet sie, daß er aus Blüten
sich eine flechte,
nicht zu trauern
die nächsten Tage.

Aus: Ganz ungetröstet bin ich nicht. Gedichte. Hanser 2007.