In der Frühe

Eduard Mörike

In der Frühe

Kein Schlaf noch kühlt das Auge mir,
Dort gehet schon der Tag herfür
An meinem Kammerfenster.
Es wühlet mein verstörter Sinn
Noch zwischen Zweifeln her und hin
Und schaffet Nachtgespenster.
– Ängste, quäle
Dich nicht länger, meine Seele!
Freu‘ dich! Schon sind da und dorten
Morgenglocken wach geworden.

„32“

Eduard Mörike

Einige kleine Mädchen, auf dem Walle einhergehend, sprechen in singendem Tone:

Es sizt ein Storch auf einem Dach,
Es regnet und er wird nicht naß;
Er zählet seine Federlein:
Es müssen zwei und dreissig seyn.

K: Warum 32?
A. Weil das Verslein 32 Silben hat.

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Erinna an Sappho

Eduard Mörike

Erinna an Sappho

(Erinna, eine hochgepriesene junge Dichterin des griechischen Altertums, um 600 v.Chr., Freundin und Schülerin Sapphos zu Mitylene auf Lesbos. Sie starb als Mädchen mit neunzehn Jahren. Ihr berühmtestes Werk war ein episches Gedicht, »Die Spindel«, von dem man jedoch nichts Näheres weiß. Überhaupt haben sich von ihren Poesien nur einige Bruchstücke von wenigen Zeilen und drei Epigramme erhalten. Es wurden ihr zwei Statuen errichtet, und die Anthologie hat mehrere Epigramme zu ihrem Ruhme von verschiedenen Verfassern.)

»Vielfach sind zum Hades die Pfade«, heißt ein
Altes Liedchen – »und einen gehst du selber,
Zweifle nicht!« Wer, süßeste Sappho, zweifelt?
Sagt es nicht jeglicher Tag?
Doch den Lebenden haftet nur leicht im Busen
Solch ein Wort, und dem Meer anwohnend ein Fischer von Kind auf
Hört im stumpferen Ohr der Wogen Geräusch nicht mehr.
– Wundersam aber erschrak mir heute das Herz. Vernimm!

Sonniger Morgenglanz im Garten,
Ergossen um der Bäume Wipfel,
Lockte die Langschläferin (denn so schaltest du jüngst Erinna!)
Früh vom schwüligen Lager hinweg.
Stille war mein Gemüth; in den Adern aber
Unstet klopfte das Blut bei der Wangen Blässe.

Als ich am Putztisch jetzo die Flechten lös’te,
Dann mit Nardeduftendem Kamm vor der Stirn den Haar-
Schleier teilte – seltsam betraf mich im Spiegel Blick in Blick.
Augen, sagt’ ich, ihr Augen, was wollt ihr?
Du, mein Geist, heute noch sicher behaus’t da drinne,
Lebendigen Sinnen traulich vermählt,
Wie mit fremdendem Ernst, lächelnd halb, ein Dämon,
Nickst du mich an, Tod weissagend!
– Ha, da mit eins durchzuckt‘ es mich
Wie Wetterschein! wie wenn schwarzgefiedert ein tödlicher Pfeil
Streifte die Schläfe hart vorbei,
Daß ich, die Hände gedeckt auf’s Antlitz, lange
Staunend blieb, in die nachtschaurige Kluft schwindelnd hinab.

Und das eigene Todesgeschick erwog ich;
Trockenen Augs noch erst,
Bis da ich dein, o Sappho, dachte,
Und der Freundinnen all’,
Und anmuthiger Musenkunst,
Gleich da quollen die Thränen mir.

Und dort blinkte vom Tisch das schöne Kopfnetz, dein Geschenk,
Köstliches Byssosgeweb, von goldnen Bienlein schwärmend.
Dieses, wenn wir demnächst das blumige Fest
Feiern der herrlichen Tochter Demeters,
Möcht ich ihr weihn, für meinen Theil und deinen;
Daß sie hold uns bleibe (denn Viel vermag sie),
Daß du zu früh dir nicht die braune Locke mögest
Für Erinna vom lieben Haupte trennen.

Textgrundlage: Mörike, Eduard: Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Im Auftrag des Ministeriums für
Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg und in Zusammenarbeit mit der Schiller-Nationalmuseum Marbach a. N. hg. v. Hans-Henrik Krummacher, Herbert Meyer u. Bernhard Zeller. Stuttgart 1967ff. (HKA). Bd. 1,1: Gedichte. Ausgabe von 1867. Erster Teil: Text. Hg. v. Hans-Henrik Krummacher. 2003. S. 133f.

Erstdruck 1864

An einem Wintermorgen, vor Sonnenaufgang

Eduard Mörike

An einem Wintermorgen, vor Sonnenaufgang

O flaumenleichte Zeit der dunkeln Frühe!
Welch neue Welt bewegest du in mir?
Was ist’s, daß ich auf einmal nun in dir
Von sanfter Wollust meines Daseins glühe?

Einem Krystall gleicht meine Seele nun,
Den noch kein falscher Strahl des Lichts getroffen;
Zu fluthen scheint mein Geist, er scheint zu ruhn,
Dem Eindruck naher Wunderkräfte offen,
Die aus dem klaren Gürtel blauer Luft
Zuletzt ein Zauberwort vor meine Sinne ruft.

Bei hellen Augen glaub’ ich doch zu schwanken;
Ich schließe sie, daß nicht der Traum entweiche.
Seh’ ich hinab in lichte Feenreiche?
Wer hat den bunten Schwarm von Bildern und Gedanken
Zur Pforte meines Herzens hergeladen,
Die glänzend sich in diesem Busen baden,
Goldfarb’gen Fischlein gleich im Gartenteiche?

Ich höre bald der Hirtenflöten Klänge,
Wie um die Krippe jener Wundernacht,
Bald weinbekränzter Jugend Lustgesänge;
Wer hat das friedenselige Gedränge
In meine traurigen Wände hergebracht?

Und welch Gefühl entzückter Stärke,
Indem mein Sinn sich frisch zur Ferne lenkt!
Vom ersten Mark des heut’gen Tags getränkt,
Fühl’ ich mir Mut zu jedem frommen Werke.
Die Seele fliegt, so weit der Himmel reicht,
Der Genius jauchzt in mir! Doch sage,
Warum wird jetzt der Blick von Wehmut feucht?
Ist’s ein verloren Glück, was mich erweicht?
Ist es ein werdendes, was ich im Herzen trage?

– Hinweg, mein Geist! hier gilt kein Stillestehn:
Es ist ein Augenblick, und Alles wird verwehn!

Dort, sieh, am Horizont lüpft sich der Vorhang schon!
Es träumt der Tag, nun sei die Nacht entflohn;
Die Purpurlippe, die geschlossen lag,
Haucht, halbgeöffnet, süße Atemzüge:
Auf einmal blitzt das Aug’, und, wie ein Gott, der Tag
Beginnt im Sprung die königlichen Flüge!

Textgrundlage: Mörike, Eduard: Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Im Auftrag des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg und in Zusammenarbeit mit der Schiller-Nationalmuseum Marbach a. N. hg. v. Hans-Henrik Krummacher, Herbert Meyer u. Bernhard Zeller. Stuttgart 1967ff. (HKA). Bd. 1,1: Gedichte. Ausgabe von 1867. Erster Teil: Text. Hg. v. Hans-Henrik Krummacher. 2003. S.11-12.

Entstanden: 1825. Erstdruck: 1834.

Denk es, o Seele

1.7.2 eduard mörike: denk es, o seele

Ausgewählt von Núria Sanjosé

Denk‘ es, o Seele!

Ein Tännlein grünet wo,
Wer weiß, im Walde,
Ein Rosenstrauch, wer sagt,
In welchem Garten?
Auf deinem Grab zu wurzeln
Und zu wachsen.

Zwei schwarze Rößlein weiden
Auf der Wiese,
Sie kehren heim zur Stadt
In muntern Sprüngen.
Sie werden schrittweis gehn
Mit deiner Leiche;
Vielleicht, vielleicht noch eh
‘
An ihren Hufen
Das Eisen los wird,
Das ich blitzen sehe!

Eduard Mörike
8. Februar um 17:41

Sven Wenig gefällt das.
Núria Sanjosé sven wenig : Robert Gernhardt
9. Februar um 17:00

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