Conrad Celtis (1459-1508)
An Apollo, den Erfinder der Dichtkunst, daß er aus Italien nach Deutschland kommen möge Phoebus, der erfunden die holde Lyra, laß dein teures Heim, Helicon und Pindus, komm, von Dichtung, wie du sie liebst, gerufen, in unsre Lande. Sieh wie unsre Musen zu dir mit Freuden eilen, singend süß unter kaltem Himmel. Unser Land, das roh noch — mit Harfenklängen komm und besuch es. Der Barbar, abstammend von rauhen Kriegern oder Bauernvolk, der des Römers Künste noch nicht kennt, er lern unter deiner Führung nunmehr die Dichtkunst, so wie einstmals vor den Pelasgern Orpheus sang, da wilde Tiere und flinke Hirsche, ja sogar am Berghang die hohen Bäume tanzten zum Liede. Hast du doch geruht‚ übers Meer zu fahren, freudig kamst du nach Latium aus Hellas, deine Musen mit dir, und gnädig lehrtest du deine Künste. Komm, so beten wir, drum zu unsern Küsten, Wie Italiens Lande du einst besuchtest; mag Barbarensprache dann fliehn, und alles Dunkel verschwinden.
Deutsch von Harry C. Schnur, in: Lateinische Gedichte deutscher Humanisten. Lateinisch-Deutsch. Stuttgart: Reclam, 2015 (3. Aufl.), S. 55