Trauer

Ausgewählt von Bernd Lüttgerding
48 Min ·

Für das Liken von Forough Farrokhzad: „Das Fenster“ wurde mir nun von Mansur Arshama ein Gedicht von Alfred de Musset zugeteilt, – wenn möglich, schrieb er, ein humorvolles. Ich habe genölt, denn für mich ist Alfred de Mussets Wirkung im Deutschen zu eng mit dem freiligrath-geibel’schen Kosmos verknüpft, mit eigenen Übertragungsversuchen würde ich mich zu weit aus dem Fenster lehnen, und die ja tatsächlich charmanten „Nuits“ sind zu lang für den hiesigen Rahmen (sie verdienten allerdings, einst mal mit Jan Kuhlbrodt im Zusammenhang mit dem Langen Gedicht diskutiert zu werden…). – Weil ich schließlich über das Sonett „Tristesse“ schmunzeln mußte, sei es dies:

In der Übersetzung von K. M. Kertbeny (Berlin, A. Duncker, 1871)

Traurigkeit

Dahin, dahin sind Kraft und Leben,
So Freund, wie Frohsinn, fort sind sie!
Sogar der Stolz auf mein Genie
Ist hin, der Glaube an mein Streben!

Ich wähnte, als ich schaute Wahrheit,
Dass endlich ich die Freundin fand;
Doch als erkannt ich sie, empfand,
War längst ich satt schon ihrer Klarheit!

Trotzdem ist ewig sie; es endet,
Wer ab von ihr sich je gewendet,
Indem er alles Sein verneint.

Gott spricht, man muss ihm Antwort geben:
Das Beste, was mir blieb vom Leben.
Ist, dass ich manches Mal geweint!

Hier auch noch, vom Humor etwas befreiter, in der Übersetzung Emanuel Geibels:

Trauer

Mein Leben, meine Kraft ist hin;
Mein Glück, die Freunde, mir erkoren,
Sogar den Stolz hab‘ ich verloren,
Der Welt zu zeigen, was ich bin.

Wie einer treuen Führerin
Hatt‘ ich der Wahrheit zugeschworen;
Seitdem sie Kinder mir geboren,
Ließ ich auch sie, gesättigt, ziehn.

Doch keiner, der sie je besessen,
Die ewig jung, wird sie vergessen,
Da er durch sie gereift zum Mann.

Mir selber ist von ihrem Lieben
Mein höchstes Lebensgut geblieben:
Daß ich zuweilen weinen kann.

Und natürlich das Original:

TRISTESSE

J’ai perdu ma force et ma vie,
Et mes amis, et ma gaieté ;
J’ai perdu jusqu’à la fierté
Qui faisait croire à mon génie.

Quand j’ai connu la Vérité,
J’ai cru que c’était une amie ;
Quand je l’ai comprise et sentie,
J’en étais déjà dégoûté.

Et pourtant elle est éternelle.
Et ceux qui se sont passés d’elle
Ici-bas ont tout ignoré.

Dieu parle, il faut qu’on lui réponde.
Le seul bien qui me reste au monde
Est d’avoir quelquefois pleuré.

(Nein, überzeugt bin ich davon nicht. Aber für jetzt soll es so stehen bleiben.)
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