Bienenspäßchen 3-5

„Bienenspäßchen“ bezieht sich auf ein lateinisches Gedicht des niederländischen Dichters Daniel Heinsius (1580-1655), in dem fast jede Zeile ein eigenes Metrum hat. Es findet sich im Original und in der Übersetzung von Harry C. Schnur in der Reclamausgabe „Lateinische Gedichte deutscher Humanisten, 1. Aufl. 1966, 3. durchges. u. ergänzte Aufl. 2015. Ich benutze es hier für den Spaß, jeden Tag ein Häppchen europäische Dichtung zu präsentieren, zugleich ein Crashkurs* in klassischer Metrik.

Vers 3-5:

violas amaracumque
tepidique dona veris
legitis suave nectar,

Deutsch:

die aus Majoran und Veilchen
und des lauen Frühlings Gaben
sammelt ein den süßen Nektar –

Die nächsten 3 Verse haben das gleiche Metrum, es sind Anakreonteen (sagt Schnur). Dieses Wort hat die Doppelbedeutung als Gattung (anakreontische Gedichte) und als Metrum. Um mich nicht im Gestrüpp der rasend schweren griechischen Metrik zu verirren**, ziehe ich die Bezeichnung „anakreontische Trochäen“ vor, vierhebige Trochäen (Beispiel in Anmerkung 2).

*) Wohlgemerkt: Crashkurs, den ich nehme, nicht gebe!

**) Dieter Breuer, Deutsche Metrik und Versgeschichte (1991) sagt zwar, die deutschen Anakreontiker hätten in den einfachen Formen des griechischen Poeten Anekreon gedichtet. Vielleicht zu einfach, so daß er es nicht für nötig hält, den anakreontischen Vers zu erwähnen, obwohl er in der deutschen Dichtung namentlich des Rokoko häufig vorkommt. Scaliger (Sieben Bücher über die Dichtkunst, Buch 2) unterscheidet zwischen anacreonticum und anacreontium, leider kann ich seine griechischen Beispiele nicht analysieren. Ich zitiere stattdessen aus zwei Nachschlagewerken. Metzler Literaturlexikon (1990) hat nur den Anakreonteus:

antiker Vers der Form uu–u–u–– gilt als Dimeter aus zwei Ionici a minore mit Anaklasis in der Versmitte (…)

Die Princeton Encyclopedia of Poetry and Poetics hat einen längeren Eintrag, der auch auf die deutschen Anakreontiker eingeht:

ANACREONTIC. In Cl. poetry this is a line-form, but to the moderns it is a strophe, an ode form. Named after the Gr. poet Anacreon of Teos (6th c. B.C.), the regular A. verse ( ^ ^ — ^ – ^ ) is created by transposition of the fourth and fifth positions in the ionic (q.v.) dimeter ( ^ ^ ^ ^ ) by anaclasis (q.v.), whence the transference of the name from the meter and author to the genre. There is a run of As. in Euripides‘ satyr-play Cyclops (495-500). Subsequently, A. lines were employed by the authors of the Anacreontea, about 60 short lyrics on wine, women, and song, composed in imitation of Anacreon from antiquity into the Byzantine period. As. were also written in Lat. by the Emperor Hadrian (Scriptores Historiae Augustae: Hadrianl6A) and, in combination with iambs or other ionic meters, by Seneca and Claudian among others. Other writers of the late Empire like Martianus Capella (fl. later 4th c. A.D.) used the form, as did Prosper of Aquitaine, Boethius, and several Carolingian poets. In the modern period, as first ed. by Stephanus (Henri Estienne) in 1554, they had a considerable influence on Ren. and later European poets, e.g. on Ronsard and Remy Belleau in 16th-c. France and, in 16th-, 18th-, and 19th-c. Italy, on Tasso, Parini, Monti, Foscolo, and Leopardi, who translated and imitated many of these poems. A. imitation was even more in vogue in 18th-c. Germany among the so-called Anakreontiker (Gleim, Uz, Götz, and their predecessor Hagedorn). In England, Sidney experimented with an A. (Old Arcadia 32); Abraham Cowley seems to have first used the term in his Anacreontiques (1656), but probably the best known verse tr. is Odes of Anacreon (1800) by the Ir. poet Thomas Moore, dubbed by Byron „Anacreon Moore.“—L. A. Michelangeli, Anacreonte e la suafortuna nei secoli (1922); E. Merker, „Anakreontik,“ Reallexikon /; Norberg; K. Preisendanz, „Anacreontea,“ Der kleine Pauly, v 1 (1964); D. Korzeniewski, Griechische Metrik (1968); H. Zeman, Die deutsche anakreontische Dichtung (1972); M. Baumann, Die Anakreonteen in englischen Übersetzungen (1974); Michaelides; B. E. Kochis, „Literary Equivalence in the Rus. 18th-C. A.,“ DAI 40 (1979): 895A; Halporn et al.; Snell; West; D. A. Campbell, Gr. Lyric, v. 2 (1988); P. A. Rosenmeyer, The Poetics of Imitation (1992).

Anakreon einfach? Da bleibe ich lieber bei dem schlichten deutschen vierhebigen Trochäus, wie ihn z.B. Johann Wilhelm Ludwig Gleim pflegte (natürlich griechisch-reimlos):

Zefir.

Roſen blühn auf ſchwarzen Stökken.
Seht, wie ſich die Farben miſchen!
Lilien ſtehn, wie weiſſe Kronen,
Stolz auf grünen Heroldsſtäben.
Nelken ſtehn, wie bunte Kränze,
Auf gefärbten Schwanenhälſen.
Aber ſeht, ſie ſtehn ſo ſtille!
Läßt ſie Zefir ſo zufrieden?
Zefir, biſt du denn ſo müßig,
Oder biſt du weggeſchwärmet?
Kannſt du dieſe Flur verlaſſen?
Wohnſt du nicht in dieſem Garten?
Schwärmſt du nicht in dieſen Büſchen,
Die mein Prinz für dich gepflanzet?
Komm, es warten tauſend Nelken,
Komm, und ſchüttle ſie zuſammen,
Daß es läßt, als wenn ſie küßten!
Schwärme doch um tauſend Roſen!
Laß mich ſehn, ob ſich am liebſten
Roſen oder Nelken küſſen!
Zefir kannſt du nicht mehr ſchwärmen?
Oder biſt du weggeſchwärmet?
Sucht ihn doch, ihr muntern Knaben,
Sucht ihn doch, den Müßiggänger!
Kommt, dort wollen wir ihn ſuchen,
Dort bewegen ſich die Lilien.
Seid nur ſtill, ich hör ihn lachen,
Hört nur zu, er lacht recht laute!
Seht, dort ſchwärmt er um das Mädchen!
Seht, der Zefir iagt das Mädchen!
Seht, ietzt ſchwärmt er um den Buſen!
Seht, ietzt weicht die leichte Seide!
Seht, ietzt zeigt er uns den Buſen.
Kommt, wir wollen näher laufen,
Denn er ſoll uns noch was zeigen!

(1745) Mehr

bisheriger Gesamttext

Mellificae volucres,
quae per purpureas rosas
violas amaracumque
tepidique dona veris
legitis suave nectar,

Deutsch von Harry C. Schnur:

Honigerzeuger im Flug,
die aus Rosen ihr, dunkelrot,
die aus Majoran und Veilchen
und des lauen Frühlings Gaben
sammelt ein den süßen Nektar –