Ein alter Tibetteppich

Else Lasker-Schüler

Ein alter Tibetteppich

Deine Seele, die die meine liebet
Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet

Strahl in Strahl, verliebte Farben,
Sterne, die sich himmellang umwarben.

Unsere Füsse ruhen auf der Kostbarkeit
Maschentausendabertausendweit.

Süsser Lamasohn auf Moschuspflanzentron
Wie lange küsst dein Mund den meinen wohl
Und Wang die Wange buntgeknüpfte Zeiten schon.

EDr 8. Dezember 1910 in »Der Sturm« Jg. 1, Nr. 41. S. 328

Geboren am 11. Februar 1869 in Elberfeld, gestorben am 22. Januar 1945 in Jerusalem.

Mein blaues Klavier

Else Lasker-Schüler

Mein blaues Klavier

Ich habe zu Hause ein blaues Klavier
Und kenne doch keine Note.

Es steht im Dunkel der Kellertür,
Seitdem die Welt verrohte.

Es spielten Sternenhände vier –
Die Mondfrau sang im Boote.
– Nun tanzen die Ratten im Geklirr.

Zerbrochen ist die Klaviatur.
Ich beweine die blaue Tote.

Ach liebe Engel öffnet mir
– Ich aß vom bitteren Brote –
Mir lebend schon die Himmelstür,
Auch wider dem Verbote.

Georg Trakl

Else Lasker-Schüler

Georg Trakl

Georg Trakl erlag im Krieg von eigener Hand gefällt.
So einsam war es in der Welt. Ich hatt ihn lieb.

Aus: Else Lasker-Schüler, Sämtliche Gedichte. Hrsg. Friedhelm Kemp. München: Kösel Verlag, 1984, S. 151.

Ein Gedicht, das ich seit beinahe einem halben Jahrhundert kenne und fast genauso lange auswendig weiß, ich trage es manchmal als Ohr- oder Hirnwurm in mir. Das erste Gedicht von Else Lasker-Schüler, das mir begegnete, war Weltende, es stand in einem Schullesebuch, wenn es auch wahrscheinlich in der Schule nicht behandelt wurde, aber es begann seine magische Arbeit in mir. Trakl war mir damals, 1968, als eine Gedichtauswahl der Lasker im Aufbau Verlag erschien („Leise sagen“), zunächst nur der Name aus diesem Gedicht. Aber es änderte sich bald, im gleichen Jahr erschien die Reclamausgabe der Menschheitsdämmerung!

Heute vor 100 Jahren, am 3.11. 1914, starb Georg Trakl in einem Krakauer Militärhospital an einer Überdosis Kokain.