Capriccio

Alfred Lichtenstein (1889-1914)

Capriccio

So will ich sterben:
Dunkel ist es. Und es hat geregnet.
Doch du spürst nicht mehr den Druck der Wolken,
Die da hinten noch den Himmel hüllen
In sanften Sammet.
Alle Straßen fließen, schwarze Spiegel,
An den Häuserhaufen, wo Laternen,
Perlenschnüre, leuchtend hängen.
Und hoch oben fliegen tausend Sterne,
Silberne Insekten, um den Mond –
Ich bin inmitten. Irgendwo. Und blicke
Versunken und sehr ernsthaft, etwas blöde,
Doch ziemlich überlegen auf die raffinierten,
Himmelblauen Beine einer Dame,
Während mich ein Auto so zerschneidet
Daß mein Kopf wie eine rote Murmel
Ihr zu Füßen rollt…

Sie ist erstaunt. Und schimpft dezent. Und stößt ihn
Hochmütig mit dem zierlich hohen Absatz
Ihres Schuhchens
In den Rinnstein –

An Theodor Däubler

Viktor Friedrich Bitterlich (1892- 1914)

(gefunden bei Fixpoetry/ Fix Zone: Lost voices)

An Theodor Däubler

Ein Schweigen geht durch diese Winternacht.
Die Erde lauscht in sich. Ihr Herzschlag zittert.
Ihr bleich Gesicht mit blinden Augen wittert.
Spürst du den Schnee? Ein Schmerz ist aufgewacht.

Ihr Herzschlag zittert. Schmerz ist dargebracht!
Von ihren Lippen gellt ein Schrei und flittert
Von Stern zu Sternen, blutend hingesplittert.
Und Scham des Lebens überglüht die Nacht.

Und Tränen springen singend durch’s Gefunkel
Und Blut verqualmt und Qual ist aufgespaltet
Und tausend Sterne brausen in das Dunkel.

Nicht sein! Nicht sein! Ein Mantel wird entfaltet.
Und Frost umarmt den Schrei: er starrt und zittert.
Schweig auch, mein Herz! Ein blindes Antlitz wittert.

Aus: Der Brenner 3 (1912/13), S. 205

Das Wort ist ein innerer Klang

Das Wort ist ein innerer Klang. Dieser innere Klang entspringt teilweise (vielleicht hauptsächlich) dem Gegenstand, welchem das Wort zum Namen dient. Wenn aber der Gegenstand nicht selbst gesehen wird, sondern nur sein Name gehört wird, so entsteht im Kopfe des Hörers die abstrakte Vorstellung, der dematerialisierte Gegenstand, welcher im «Herzen» eine Vibration sofort hervorruft. So ist der grüne, gelbe, rote Baum auf der Wiese nur ein materieller Fall, eine zufällige materialisierte Form des Baumes, welchen wir in uns fühlen, wenn wir das Wort Baum hören. Geschickte Anwendung (nach dichterischem Gefühl) eines Wortes, eine innerlich nötige Wiederholung desselben zweimal, dreimal, mehrere Male nacheinander kann nicht nur zum Wachsen des inneren Klanges führen, sondern noch andere nicht geahnte geistige Eigenschaften des Wortes zutage bringen. Schließlich bei öfterer Wiederholung des Wortes (beliebtes Spiel der Jugend, welches später vergessen wird) verliert es den äußeren Sinn der Benennung.

Wassili Kandinsky, in: Der Blaue Reiter. Dokumente einer geistigen Bewegung. Leipzig: Reclam, 1986, S. 332.

Blutschuld

1.7.4.3 georg trakl: blutschuld

Textkette
Ausgewählt und ins Griechische übersetzt von 
Jörg Themistokles Kartakis

 im Auftrag von Jan Kuhlbrodt fürs Liken von Peter Hille

Jede Person, welche bei diesem Gedicht hier „gefällt mir“ klickt, bekommt von mir eine(n) AutorIn zugewiesen, sucht dann ein Gedicht von diesem Autor/dieser Autorin raus und postet es auf der eigenen Pinnwand, um so das Gedichte-Netz weiter zu spannen. Bitte nicht vergessen, diesen Text davor zu setzen.

Georg Trakl, Blutschuld

Es dräut die Nacht am Lager unsrer Küsse.
Es flüstert wo: Wer nimmt von euch die Schuld?
Noch bebend von verruchter Wollust Süße
Wir beten: Verzeih uns, Maria, in deiner Huld!

Aus Blumenschalen steigen gierige Düfte,
Umschmeicheln unsere Stirnen bleich von Schuld.
Ermattend unterm Hauch der schwülen Lüfte
Wir träumen: Verzeih uns, Maria, in deiner Huld!

Doch lauter rauscht der Brunnen der Sirenen
Und dunkler ragt die Sphinx vor unsrer Schuld,
Daß unsre Herzen sündiger wieder tönen,
Wir schluchzen: Verzeih uns, Maria, in deiner Huld!

*

Ένοχοι εγκλήματος

Μαίνεται η νύχτα στη μεριά π΄έσμιξαν τα φιλιά μας, φοβερίζει,
«Ποιός θα σας σώσει απ΄την ενοχή;», κάποιος μας ψιθυρίζει,
Μα εμείς μες σε γλυκούς σπασμούς μιαρής λαγνείας,
«Συγχώρα μας στη σκέπη σου!», ζητάμε της Μαρίας.

Λαίμαργα αρώματα, άπληστα, τα ανθογυάλια βγάζουν,
Τα ένοχα μας μέτωπα, τα ωχρά, στολίζοντας σκεπάζουν,
Κι εμείς εξαντλημένοι μες στην άχνα πνιγερών ατμών,
Στο όνειρο συγχώρηση ζητάμε της Μαρίας των Ουρανών!

Μα η Σφίγγα μπρος στις τύψεις μας πιο σκοτεινή προβάλλει,
Και των Σειρήνων η πηγή πιο δυνατά παφλάζει,
Ώστε η καρδιά μας πιο άνομη μες σε λυγμούς και πάλι:
«Συγχώρα μας στη σκέπη σου, Μαρία!», της κραυγάζει.

(μτφ.Γ.Κ.) 

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Jörg Themistokles Kartakis: Constanze John bitte Georg Heym 
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Die Dämmerung

1.9.2 alfred lichtenstein: die dämmerung

Ausgewählt von Mag Mdot

Alfred Lichtenstein, von Sven Wenig „auf Heiner Müller“ zugewiesen bekommen

Die Dämmerung

Ein dicker Junge spielt mit einem Teich.
Der Wind hat sich in einem Baum gefangen.
Der Himmel sieht verbummelt aus und bleich,
als wäre ihm die Schminke ausgegangen.

Auf lange Krücken schief herabgebückt
(und schwatzend) kriechen auf dem Feld zwei Lahme.
Ein blonder Dichter wird vielleicht verrückt.
Ein Pferdchen stolpert über eine Dame.

An einem Fenster klebt ein fetter Mann.
Ein Jüngling will ein weiches Weib besuchen.
Ein grauer Clown zieht sich die Stiefel an.
Ein Kinderwagen schreit. Und Hunde fluchen.

8. Februar um 00:10

Angelika Janz gefällt das.

Judas

1.6.2 georg heym: judas

Ausgewählt von Fidel Klaufschneider

Kerstin Becker auftrug mir ein gedicht von Georg Heym anzuketten!
„Was kommt ihr, weiße Falter“ is’s nit worden, bin Vampirgeschädigt (seit ich hier lebe), dann „Der Affe“ so gut er mir gefiel auch nicht also:

Georg Heym – Judas

Die Locke der Qual springt über der Stirne
Drin wispern Winde, und viele Stimmen
Die wie Wasser vorüberschwimmen.

Doch er rennet bei Ihm gleich einem Hunde
Und er picket die Worte hervor in dem Kote.
Und er wieget sie schwer. Sie werden tote.

Ach, der Herr ging über die Felder weiß
Sanft hinab am schwebenden Abendtag
Und die Ähren sangen zum Preis,
Seine Füße waren wie Fliegen klein,
In goldener Himmel Schein.

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Fidel Klaufschneider bei Michael Gratz ist jetzt eine Textkette am entstehen. Jede Person, welche bei diesem Gedicht hier „gefällt mir“ klickt, bekommt von mir eine(n) AutorIn zugewiesen, sucht dann ein Gedicht von diesem Autor/dieser Autorin raus und postet es, um so das Gedichte-Netz weiter zu spannen.

Becker/Mickel – Schneider/Heim – Wilde- Claudia Gabler!

Damenringkampf

1.2.1 heinrich nowak: damenringkampf

Ausgewählt von Michael Gratz im Auftrag von Florian Voß

Heinrich Nowak

Damenringkampf

Die Eine ist recht üppig; lächelt froh
Im Vollbewußtsein ihrer Kampfeslüste;
Zwei runde Kreise zeichnen ins Trikot
Die Warzen ihrer kolossalen Brüste.

Die Andere ist schlank, und hart und fest
Ist jeder Muskel, den sie spielen läßt.
Das Hirnchen hinter blondem Haaresknoten
Ist sicher vollgepfropft mit süßen Zoten.

Wie sie sich fernher mit den Augen messen
Schweigt die Musik – und sie umfassen sich –
Und wie sie Schenkel fest auf Schenkel pressen,

Wälzt auf der Schlanken schwer die Dicke sich
Und bohrt den Kopf in deren Psychebrust.
Aus aller Augen rinnt die wüste Lust –

aus: Heinrich Nowak: Die Sonnenseuche. Das gesamte Werk (1912-1920). Wien, Berlin: Medusa, 1984. Zuerst veröffentlicht 1913.

Das Prinzip ist einfach – jede Person, welche bei einem Gedicht der Reihe „gefällt mir“ klickt, bekommt eine(n) AutorIn zugewiesen. Dann einfach ein Gedicht raussuchen, posten und so die lyrische Kette fortführen. Bitte nicht vergessen, diesen Text vor oder unter das Gedicht zu setzen, damit andre die Reihe fortsetzen können.
Also Vorsicht: klicken Sie nur „like“ wenn Sie mitmachen wollen. Wozu alle eingeladen sind.

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Michael Gratz wir sind bei über 130 autoren. ich komm kaum noch nach. ab übermorgen wirds ein full time job. spätestens

aus aeiou.at:

Nowak, Heinrich, * 26. 1. 1890 Wien, † 12. 8. 1955 Zürich (Schweiz), Lyriker, Prosaautor und Journalist. Neben R. Müller einer der bedeutendsten Autoren des Wiener Frühexpressionismus, unter anderem befreundet mit O. Kokoschka und H. Flesch-Brunningen, Mitglied der Künstlervereinigung „Die Katakombe“. Veröffentlichungen in zahlreichen expressionistischen Zeitschriften; nach 1918 als Journalist und Reporter tätig, emigrierte 1939 in die Schweiz.

Werke: Die tragische Gebärde, 1913 (Gedichte); Die Sonnenseuche, 1920. – Ausgabe: Die Sonnenseuche. Das gesamte Werk, herausgegeben von W. Ihrig und U. Janetzki, 1984.

Literatur: W. Höllerer, H. Nowak. Ein verschollener Expressionist, in: Akzente 4, 1963.