Der Dnepr stöhnt und brüllt

1. Реве та стогне Дніпр широкий,
Сердитий вітер завива,
Додолу верби гне високі,
Горами хвилю підійма

2. І блідий місяць на ту пору
Із хмари де-де виглядав,
Неначе човен в синім морі,
То виринав, то потопав.

3. Ще треті півні не співали,
Ніхто ніде не гомонів,
Сичі в гаю перекликались,
Та ясен раз у раз скрипів.

Dieses Lied in ukrainischer Sprache von Taras Schewtschenko stammt aus dem Jahr 1837. Der junge Dichter schrieb es in Petersburg. Es besitzt Volksliedstatus in der Ukraine. Eigentlich ist es der Anfang der Ballade «Причинна» (Die Behexte). Zeitgenössischer Kritiker lobten sein Talent und bemängelten,

dass er die „bäuerliche“ ukrainische Sprache, vermeintlich ein primitiver Dialekt des Russischen, für seine Dichtung gewählt hatte. (Wikipedia)

(Die völlig hemmungslose Herabwürdigung ukrainischer Sprache und Kultur habe ich in den letzten Monaten in russisch-neurussischen Foren vielfach beobachten können.)

In der 1987 in Ostberlin und Kiew erschienenen Gedichtauswahl steht es in der Übersetzung von Alfred Kurella:

Der Dnepr stöhnt und brüllt, der breite,
Zornbebend heult der wilde Wind,
Beugt tief hinab die hohe Weide,
Wirft Wellen, die wie Berge sind.
Still kommt der bleiche Mond gezogen,
Lugt zaghaft hinter Wolken vor –
Gleich einem Kahn auf blauen Wogen,
Versinkt er bald, taucht bald empor.
Noch krähte nicht der Hahn. Noch schweigen
Die Dörfer rings, du hörst kein Wort,
Nur Eulen rufen in den Zweigen,
Ein Eschenast knarrt hier und dort.

Computerübersetzungen sind oft komisch, aber nicht ohne Poesie. Ich schließe mich Brechts Kommentar zu seinen Sonetten über klassische Gedichte an: Diese Bearbeitungen schmälern nicht den Wert der klassischen Vorlage, sondern „reinigen“ (sagt Brecht) den Genuß. Ich sage für meinen Zusammenhang lieber, sie unterstützen durch Kontrast, Mißverstehen und Zuspitzung. Insofern modellhaft für jeden Verstehensvorgang. Hier eine nur grammatisch und interpunktuell leicht bearbeitete Googleversion:

Brüllt‘ und stöhnt‘ der breite Dnepr,
böse Wind heulten,
beugten sich nach unten Weiden
Flut pidiyma Mountains.

Pale Moon und an diesem poru
Iz Wolken de deux sah aus,
als wenn ein Boot in das blaue Meer,
dann vyrynav, dann sinkt.

Ist eine dritte Hähne nicht singen,
nie kein Lärm,
Sychi pereklykalys im Hain,
und das Zahnfleisch hin und wieder abgeschabt.

Eine englische Fassung findet sich im Netz ohne Angabe des Übersetzernamens. Die offenbar kanadische Quelle existiert nicht mehr, nur verschiedene Spiegelungen. (In Toronto, erfährt man da, gibt es ein Schewtschenkomuseum).

The mighty Dnieper roars and bellows,
The wind in anger howls and raves,
Down to the ground it bends the willows,
And mountain-high lifts up the waves.
The pale-faced moon picked out this moment
To peek out from behind a cloud,
Like a canoe upon the ocean
It first tips up, and then dips down.
The cocks don’t crow to wake the morning,
There’s not as yet a sound of man,
The owls in glades call out their warnings,
And ash trees creak and creak again.

3 Gedanken zu “Der Dnepr stöhnt und brüllt

  1. Stefan Lange schreibt:

    In der 7. Auflage von 1987 des 1969 erstmals erschienenen Buchs „Brüder am Werk III“ (VEB Friedrich Hofmeister Musikverlag Leipzig) gibt es auf Seite 208 eine Fassung des Liedes für 4-stimmigen gemischten Chor mit Klavier in einer deutschen Textfassung von Heidi Kirmße, die inhaltlich der Gedichtfassung von 1987 ähnelt, sich aber auch singen lässt:
    1. Brandend und tosend [wir haben „Tosend und brandend“ gesungen] strömt der Dnepr, wenn es um seine Ufer stürmt, niedergeduckt [wir haben „niedergebeugt“ gesungen] vom Wind die Weiden, schäumend die Wogen aufgetürmt. 2. Und wie im aufgewühlten Meere ein Kahn mit Wind und Wellen ringt, treibt bleich der Mond durch Wolkenwogen, als ob er auftaucht und versinkt. 3. Kein einzger Schritt ist mehr zu hören, und kein Nomadensang ertönt, kein Käuzchen ruft nach den Gespielen,einzig die Esche klagt und stöhnt.

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